Es ist einige Wochen her. Wer da die ,,Lokalzeit“ gesehen hat, erfuhr, dass vor genau 50 Jahren ein gewisser Karnevalist namens Karl Küpper gestorben sei.
Auch wer offenen Auges durch die Kalker Hauptstraße schlendert, wird an einer Apotheke eine Hinweistafel finden, ebenfalls wird da an diesen Karl Küpper erinnert. Doch wer war dieser Mann, was macht ihn so einzigartig und warum sollte er uns ein Vorbild sein?
Am 26. Mai 1970 war er gestorben, und jetzt endlich, 50 Jahre nach seinem Tod, wird zu seinen Ehren der Karl-Küpper-Preis ausgelobt. Damit soll Engagement für Demokratie und Toleranz gewürdigt werden.
Geboren wurde der Mann nicht in Köln, sondern in Düsseldorf, am 2. November 1905 als Sohn von Gottfried Küpper. Seine Familie hatte es dorthin verschlagen, weil sie hofften, eine Arbeit zu finden, dies war jedoch nur von kurzer Dauer, denn 1911 zog die Familie wieder zurück nach Köln an den Rathenauplatz. Vier Jahre später zogen sie von der Innenstadt nach Kalk um, die Familie wohnte in der Remscheider Straße. 1920 machte Karl Küpper seinen Abschluss, er zeichnete sich vor allem in den sprachlichen Fächern aus und absolvierte im Anschluss eine Ausbildung zum Schriftsetzer.
Seine sprachlichen Fähigkeiten sollten für ihn schon sehr prägend sein, denn um 1927 begann er, als Karnevalist und Büttenredner aufzutreten, dies mit großem Erfolg. Seine Auftritte unterschieden sich deutlich von denen anderer Redner, denn deren Auftritte glichen eher denen eines Politikers. Man pflegte nämlich, schick und spießig angezogen, seine Rede sauber abzulesen. Karl Küpper dagegen setzte sich bei seinen Auftritten immer lässig auf die Bütt und war mit dem Hut, der runden Brille, der schwarzen Perücke, dem karierten Hemd, dem weißgeschminkten Mund und der beweglichen Gumminase als ,,Dr Verdötschte‘‘ gekleidet und fiel schon dadurch optisch auf. Er wollte damit aus der damals verklemmten, steifen Welt des Karnevals ausbrechen.
1931 gelang ihm dann der große Durchbruch: Seine Rede Dä Verdötschte Zeppelinberichterstatter machte ihn überregional bekannt. Im Programmheft des Kölner Festkomitees wurde seine Rede auf der ersten Seite abgedruckt. In dieser Rede berichtet er von einer Zeppelinfahrt, in denen er aktuelle politische Begebenheiten und damals noch exotische Kulturen parodiert.
Doch zwei Jahre später waren die Zeiten der freien Rede endgültig vorbei, denn die Nationalsozialisten übernahmen im selben Jahr die Macht in ganz Deutschland. In Kalk allerdings, vorher einer Hochburg der klassischen Arbeiterparteien (SPD und KPD), hatten die Nazis keinen großen Rückhalt. Als die SA 1933 mit 700 Männern nach Kalk marschierte, zeigten sich die Bewohner mutig und starteten eine Straßenschlacht.
Aber bald hingen in auch Kalk überall Hakenkreuze. Viele glauben bis heute, dass es im Kölner Karneval aktiven Widerstand gegeben habe, doch eigentlich wurde auch er schnell von den Nazis instrumentalisiert.Bekannte Karnevalisten wie Thomas Liessem wurden zu Mitläufern, einige sogar zu Mittätern. Jegliche Kritik an den Nazis war nun untersagt, auch Antisemitismus wurde immer mehr und mehr sichtbar. Zum Beispiel veröffentlichten einige prominente Kölner Sänger Lieder wie (Hurra, die Jüdde trecke fott („Hurra, die Juden ziehen fort“)) und 1934 fuhr ein Wagen mit der Aufschrift „Die Letzten ziehen ab“ durch Kölns Straßen, auf denen einige Männer als „Juden“ verkleidet waren.
Auch wurden jüdische Karnevalsvereine aufgelöst und einige Kölner Bräuche, wie die Darstellung der Kölner Jungfrau von einem Mann, wurden abgeschafft. Zudem versuchte der NS, das Fest kulturell gleichzuschalten.
Karl Küpper galt als einer der wenigen, die sich nicht davon beeindrucken ließen, auch traute er sich, die Nazis öffentlich lächerlich zu machen. Es kam ein neues Markenzeichen hinzu: Bei jedem seiner Auftritte hob er die Hand zum Hitlergruß und fragte „Es et am rähne?“ (Ist es am Regnen?) Er beantwortete die Frage selbst mit: „Nä, esu e Wedder!“ (Nee, so ein Wetter!) . Eine andere Antwort war: „Nä,nä, su huh litt bëi uns dä Dreck em Keller!“ (Nee, nee, so hoch liegt bei uns der Dreck im Keller!“. Damit übte er mutig Kritik an den Nazis, indem er die Nazis subtil mit Dreck gleichsetzte.
Trotz solcher Reden wurde er aufgrund seiner hohen Popularität von den Nazis noch geduldet.
Um 1936 begann er jedoch, seine Kritik schärfer und direkter auszuüben, dies führte aber dazu, dass er ständig bespitzelt wurde. Nach seiner Rede Berichterstatter aus Abessinien im selben Jahre, wo er die Gestapo als Brellschlang (Brillenschlange) und Blindschleich bezeichnete, bekam er Besuch von dieser und wurde mittels physischer Gewalt unter Druck gesetzt.
Doch auch dies hinderte ihn nicht daran, weiterzumachen, im Gegenteil: „Ich han en Kehlkoppentzündung. Fünf Zäng, die moote erus. Die han ich mir durch de Nas trecke loße. Ich mache de Muul nit mih op.“ (Ich hatte eine Kehlkopfentzündung. Fünf Zähne, die mussten heraus. Die habe ich mir durch die Nase ziehen lassen. Ich mache den Mund nicht mehr auf.) Damit deutete er an, dass er grausam gefoltert worden war.
Die Faschisten nannte er Lumpazi vagabundis faschista.
Auch im folgenden Jahr sorgte er mit seiner Rede Berichterstatter aus Spanien für Aufregung bei den Nazis. Er machte sich über deren Aktion gegen Lebensmittelverschwendung lustig und erwähnte den Reichstagsbrand im Jahre 1933, bei dem die Nazis den Kommunisten die Schuld zugeschoben hatten. Im Jahre 1939 wurde es den Nazis mit seiner Rede Der Filmstar endgültig zu bunt: ,,Ich ben jo fruh, dat ich he setze. Et es mir jo schleeßlich ejal, wo ich setze. Ävver mer muss doch e bessje vürsichtig sin. […]. Ich sing nur noch: SOS-Schweig udder sitz!“ (Ich bin ja froh, dass ich hier sitze. Es ist mir schließlich egal, wo ich sitze. Aber man muss doch besser vorsichtig sein. Ich singe nur noch: SOS-Schweig oder sitz!). Am 12. Januar 1939, nachdem er auf einer Sitzung diese Rede gehalten hatte, wurde gegen ihn ein lebenslanges Redeverbot verhängt. Zusätzlich wurde gegen ihn, da sich über er diverse NS-Führer lustig gemacht und diese nachgeäfft hatte, ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Nach dem Überfall auf Polen wurden im November 1939 alle Karnevalssitzungen verboten, jedoch scherte sich keiner darum; diese wurden nun privat ausgetragen.
Im Juli 1940, nach einer Veranstaltung in Bergisch-Gladbach, riet ihm ein befreundeter Gestapomann , sich für die Wehrmacht zu melden, da ihm wegen seines Auftritts die Gestapo auf den Füßen war und ihm Arbeits- und Konzentrationslager drohte. Der Rat hat ihm mit Sicherheit sein Leben gerettet, denn als die Gestapo am nächsten Morgen nach ihm suchte, war Karl Küpper schon weg.
1941 heiratete er Sophie Hüsgen und zog von der Remscheider Straße in die Hollweghstraße. 1943 bekamen er und seine Familie die Auswirkungen des Krieges zu spüren: Bei einem Bombenangriff fiel auch ihr Haus zum Opfer; die Familie zog anschließend zu Sophies Eltern nach Bergisch-Gladbach. 1944 wurde das Redeverbot gegen ihn aufgehoben.
1945 wurde er von den Amerikanern gefangengenommen, floh aber anschließend zurück nach Bergisch-Gladbach.
Doch in Köln gab es nach dem Krieg keine Anzeichen von Reue oder Demut angesichts des Unrechts, das begangen worden war. Stattdessen wurde versucht, diese 12 Jahre zu verdrängen und viele versuchten, sich als Helden darzustellen, wenn sie auf das Thema zu sprechen kamen. „Es wurde gelogen, dass sich die Balken bogen,“ erinnerte sich Karl Küppers Frau Sophie. Schon kurz nach dem Ende des Krieges stand Karl Küpper wieder auf der Bühne u.a. mit den Vier Botzen oder Trude Herr.
Nun sagte er: „Et es nit mih am rähne!“, worauf viel Applaus folgte. Im Anschluss dann: „Ëiner säht för mich: ‚En Kölle süht et ävver us…Doll. Do kann mer sech ohne Führer ävver nit mih zerääch finge.‘ Ich sage: ‚Häs do dann emmer noch nit de Nas voll!‘ Ich han këiner nüdig jehatt.“ (Einer sagte zu mir: ‚In Köln sieht es aber aus (bezogen auf die kriegszerstörte Stadt)… Doll. Da kann man sich ohne Führer aber nicht mehr zurecht finden.‘ Ich sage: ‚Hast du noch immer nicht die Nase voll!‘ Ich hatte keinen (Führer) nötig gehabt.)
In den ersten Nachkriegsjahren folgten harte Winter, besonders der des Jahres 1946/47, als sogar der Rhein zufror. Viele Kölner sahen keinen anderen Ausweg, als Güterwagen zu entern und wenige Kohlen herauszuklauben oder in den Schwarzmarkt einzusteigen. Die Polizei führte zwar Razzien durch, bereicherte sich jedoch oftmals selbst an den Gütern. Karl Küpper griff diese Phänomene in seinen Reden jener Jahre auf.
Da seine Frau Sophie und seine Kinder Karl Jr. und Gerhard noch nicht von den Einnahmen leben konnten, eröffnete er ein Bekleidungsgeschäft in der Kalk-Mülheimer-Straße und ein weiteres auf der Venloer Straße in Ehrenfeld. Nachdem jedoch der Geschäftsführer der Filiale in Ehrenfeld viele Einnahmen unterschlagen hatte, musste er beide Filialen 1954 wieder schließen.
Die verdrängende Haltung vieler Karnevalisten wurde auf einer Sitzung im Jahre 1952 deutlich, als Karl Küppers Rede, in der er unter anderem mit dem Satz „Et es ald widder am rähne!“ (Es ist schon wieder am Regnen!) vor der Rückkehr alter Zustände warnte. Unter anderem kritisierte er die britische Besatzung und den ägyptischen König Faruk und sorgte so für Aufruhr. Der damalige Bürgermeister Robert Görlinger verließ während der Rede die Sitzung. Dieses Thema fand sogar Eingang in mehrere Bundestagsdebatten, wo diskutiert wurde, ob politische Satire auf Karnevalssitzungen verboten werden solle.
Ungeachtet dessen feierte Karl Küpper in den 50ern einen Erfolg nach dem anderen und trat des Öfteren im Casino der CfK auf. Die CfK (Chemische Fabrik Kalk) war eine Chemiefabrik bei uns in Kalk, die auf Düngemittelproduktion spezialisiert war, die aber 1993 schließen musste. Auf deren Gelände stehen heute die KölnArcaden.
Er hätte eine große Karriere im Fernsehen starten können, —es lagen diverse Einladungen und Angebote vor — doch die Bedingung war, dass er „die Politik aus dem Spiel lassen solle“, sodass es nur zu zwei Fernsehauftritten in den 50ern kam. Im Radio wurden seine Passagen oftmals gekürzt oder gar ganz herausgeschnitten, was nochmal die Spießigkeit jener Zeit zeigte.
Da die vielen Sitzungen sehr anstrengend waren, absolvierte er ab Mitte der 50er Jahre weniger Auftritte und zog von Bergisch-Gladbach nach Höhenhaus, übernahm dort ein Lokal und kümmerte sich um Nachwuchstalente. Der Krätzchensänger Ludwig Sebus trat u.a. dort auf.
Im Jahr 1960 zog er sich, mittlerweile Mitte 50, vom Karnevalsgeschäft zurück und zog nach Kalk um, an den Ort, wo er den größten Teil seines Lebens verbracht hatte und machte hier eine neue Gaststätte auf. Viele Kalker, seien es Arbeiter aus den umliegenden Fabriken oder Geschäftsleute, besuchten regelmäßig sein Lokal. Auch einige berühmte Karnevalisten und Musiker ließen sich sehen, wie die Vier Botze oder eben Ludwig Sebus. Doch es kamen manchmal Menschen, die sich einfach nur für seinen beispielhaften Mut während der NS-Zeit bedanken wollten.
Karl Küpper starb am 26. Mai 1970 im katholischen Krankenhaus Kalk (heute ist da unsere ewige Schulbaustelle). Seine Witwe starb, stolze 102 Jahre alt, im Jahre 2015.
Karl Küpper wurde meiner Meinung nach von der Gesellschaft viel zu wenig beachtet; auch heute scheint er im Karneval fast vergessen zu sein, obwohl er ein Vorbild für uns alle sein sollte.
Als jemand, der sich nicht verbiegen ließ und stets Mut hatte, seine Meinung zu äußern, auch wenn diese einigen unbequem war. Als einer, der kritisch blieb, selbst als er in der NS-Zeit um sein Leben fürchten musste.
Auch heute, in Zeiten, da Werte wie Toleranz oder Meinungsfreiheit auf der Kippe stehen und im Internet jeder Spinner seinen Mist in die Welt setzen kann, in Zeiten, da Politiker ermordet werden, weil sie anderer Meinung sind oder sich für etwas oder andere einsetzen, ist ein aufrechter Mensch wie Karl Küpper einer war, besonders gefragt.
Für mich ist Karl Küpper ein Kalker Jung und Original.