„Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft“

Eine Exkursion des Chemie GK Q2 zum SchulLab bei Covestro

Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Leistungskurse und Abiturfächer endgültig festlegen müssen, sind sich viele der Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst — dabei geht es um nichts Geringeres als die eigene Zukunft, und doch wissen selbst in der Q2 viele Schüler nicht, was sie nach dem Abitur studieren wollen. Da können auch noch so viele „Berufsorientierungstage“ durch das entsprechende Kultusministerium nach dem Leitsatz „Cave quicquam dicas, nisi quod scieris optime“ („Rede nicht über etwas, was du nicht genau kennst“) erfolgen.

Gerade heutzutage, wo selbst renommierte Medien den Stellenwert des Abiturs angesichts mangelnder Fachkenntnisse der Abiturienten anzweifeln und Bayern sich aus dem nationalen Bildungsrat zurückzog, um die Qualität des eigenen

Abiturs nicht zu gefährden, müssen wir uns fragen, ob nicht über die Schule hinausgehende Fortbildungen erforderlich sind, damit die Schüler nicht der Entwicklung des globalen Markts hinterherhinken. Denn eines, so glaubt zumindest die Wirtschaft, ist deutlich: in Deutschland herrsche ein akuter Fachkräftemangel in dem naturwissenschaftlichen Bereich.

Und so besitzt die in der folgenden Reportage dargestellte Exkursion des Chemiekurses der Q2 eine tiefere Bedeutung: es geht um viel mehr als um eine „bloße Schulexkursion“ – es geht um die Frage, wie die aktuelle wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik erhalten bleiben soll. Eben: um nichts Geringeres als die Zukunft.

Sie hat durchaus etwas Majestätisches an sich: diese Stille, diese erhabene Ruhe, diese konzentrierte Atmosphäre, die man normalerweise nur in einem Vorlesungssaal vorfände – wäre da nicht Hümeyras ungestümer Blick. „Wie lange braucht ihr denn noch? Zehn Minuten?“, fragt sie die Jugendlichen, die ihr mit unbewegter Miene und einem kaum erkennbaren Runzeln zu verstehen geben: Wir brauchen deutlich mehr Zeit. Was für viele wie eine ganz normale Szene aus der Schule wirken mag, in der die Lehrerin Fragen an ihre Schüler stellt, ist für die achtzehnjährige Jugendliche ein Novum, denn wer kann bereits mit achtzehn behaupten, Chefin eines international agierenden Konzerns zu sein? Für sie ist es jedoch die Realität – zumindest für acht Stunden; denn bei dem Schülerlabor der Firma Covestro werden für interessierte Schülerinnen und Schüler erste praktische Erfahrungen des Alltagslebens in einem größeren Betrieb an die Hand gelegt.

Zumindest kann sich die achtzehnjährige Teilnehmerin Hümeyra Yanar durchaus vorstellen, später in einem Betrieb zu arbeiten – dabei hatte sie nicht damit gerechnet, dass die Exkursion ihr die Augen öffnen würde: „Ich hatte beim Hingehen nicht die Vermutung, dass es Spaß machen wird, aber als wir dann eingeteilt wurden in Teams und ich als Chefin im Kommunikationsteam war, fing es doch an, mich zu interessieren, obwohl ich eigentlich später im sozialen Bereich arbeiten wollte“, erklärt sie, bevor sie sich erneut auf den Weg macht, um auch die anderen Abteilungen nach einer zeitlichen Prognose zu fragen. „Tatsächlich hatte ich nicht gewusst, dass Kommunikation so wichtig ist in der Arbeitswelt, wie wir sie in Covestro erleben durften“, erläuterte sie – eine Meinung, die auch bei vielen anderen Teilnehmern auf ähnliche Resonanz stößt: Man habe nicht gedacht, dass ein Chemieunternehmen auch andere Berufe anbieten würde. „Gerade, dass man etwas anderes probiert, hat so seinen Reiz“, schalten sich mehrere ihrer Freunde ein.

Das Arbeitsleben praktisch kennen lernen

Neben Hümeyra befinden sich auch viele andere Schüler in dem Projekt, das etwas schafft, was der „normale Unterricht“ nicht hergibt: Praktische Einblicke in das Arbeitsleben zu gewährleisten. Die Chemie mal ganz praktisch zu erleben – das bereitet auch Hümeyra Freude. „Ich habe entdeckt, wie viel Spaß es mir macht, mit anderen Menschen zu kommunizieren und dabei in allen Fachbereichen tätig zu sein.“ Bei ihrem aufgeflammten Interesse trifft es sich dann ja gut, dass sie in das Kommunikationsteam gelangte. Denn es gab verschiedene Abteilungen: Das Forscherteam ist „dem richtigen Material auf der Spur“ und prüft beispielsweise diverse Materialien auf ihre Kratzfestigkeit. Im Designteam geht es um Farben, Effekte, Muster, Formen: Wie soll das fertige Produkt aussehen? Wie gestalten wir die Werbung? Für die richtige Maschineneinstellung und Produktion sorgt das Technikteam. Das Finanzteam ist dafür zuständig, dass die Zahlen stimmen: Wie viel darf das Produkt kosten, damit sich die Produktion rentiert? Wie hoch soll das Gehalt der Mitarbeiter liegen? Wie viel kostet die Produktion denn eigentlich überhaupt? Für die reibungslose Zusammenarbeit aller Teams und die Präsentation der Ergebnisse ist dann das Kommunikationsteam zuständig – eben wie in einem echten Unternehmen, was auch das Ziel des Projektes ist: Neben einem Einblick in die Praxis wolle man den Schülern eine „neue Sicht auf das Arbeiten in naturwissenschaftlichen Bereichen“ ermöglichen. Dieser Praxisbezug wird auch durch eine authentische Arbeitsumgebung sichergestellt: Das Schülerlabor liegt inmitten des Chemparks in Leverkusen/Köln und ist umgeben von riesigen Anlagen und Hallen; ein Verlassen des Geländes ist nur mit einem Ausweis möglich. Zudem lief das Projekt von neun Uhr bis 16 Uhr nachmittags, ganz wie in einem echten Unternehmen. Dass die Schüler während ihrer Arbeit auch andere Grundlagen mitnahmen, wäre eher „on top“ und somit auch für alle Beteiligten vorteilhaft.

Ein Becher aus Polyurethan

So bestand die Hauptaufgabe in unserem Kurs darin, einen Becher aus Polyurethan, einem Kunststoff, herzustellen – zwar gab es Personen, die die einzelnen Gruppen unterstützen sollten, doch mussten sie sich spätestens nach dem „Highlight“, dem Start der 250000 Euro teuren Maschine, bei der natürlich keiner fehlen durfte, zurückziehen: Zu sehr waren die Schüler auf ihre Aufgaben fokussiert und bearbeiteten sie mit einer Akribie, die sich manch ein Lehrer nur in den kühnsten Träumen vorzustellen vermag. Denn, anders als in der Schule, sind die Gruppen auf die Arbeit der einzelnen Mitglieder angewiesen: Wenn eine Person ihrer Aufgabe nicht nachkommt, scheitert das Produkt. Dass alle Schüler so mitarbeiten, sei nicht immer verständlich, lobte das Projektteam die Stufe bei der Verabschiedung. Eine solche Laudatio erhielt dieses dann auch von den Schülern – gerade Hümeyra ist nur des Lobes voll; nahm sie doch laut eigener Aussage Vieles aus dem Tag mit – die fertigen Becher waren da nur ein „nettes Gimmick“ obendrauf.

Das Projektteam ist sich sicher: der Arbeitsmarkt verändert sich. Nur mit einem bloßen Abitur kommt man mittlerweile nicht mehr weit, Zusatzqualifikationen sind immer erwünscht. Dass das Projekt ein Riesenerfolg ist, zeigt sich schon allein an dem großen Interesse: Jedes Jahr besuchen knapp 3000 Kursteilnehmer das Projekt – und hinterlassen zahlreiche positive Rückmeldungen. Das liegt auch daran, dass viele Schüler die Naturwissenschaften bevorzugen und insbesondere das praktische Arbeiten (Stichwort „Experimentieren“) mögen – da ist es dann auch nicht schlimm, wenn ein solches Projekt mal länger dauert als ein üblicher Schultag.

Berkan Beyazit, Q2